Vom Duzen und Siezen in der Arbeitswelt

Du oder Sie – die zwei Seiten der Kommunikationsmedaille

Nur wenige wissen, dass die Wurzel der Höflichkeitsformel „Sie“ im Mittelalter liegt. Damals wurde das Siezen in praktisch allen europäischen Sprachen üblich, um höhergestellten Personen Ehrerbietung und Respekt zu zollen. In abgewandelter Form findet sich diese Sitte auch heute noch, z.B. in der Gastronomie („Hat die Dame noch einen Wunsch?“ oder „Hat es dem Herrn geschmeckt?“). In einigen höher gestellten Kreisen herrscht sogar noch die familiäre Tradition, die Eltern als Zeichen der Ehrerbietung zu siezen.

Komplementär dazu etablierte sich das vertrauliche Du im Privatbereich und als solidarischer Ausdruck für ein gemeinsames Selbstverständnis – anfänglich z.B. in der Arbeiter- oder Studentenbewegung, aktuell z.B. im Sport, in Clubs oder innerhalb gesellschaftspolitischer Bewegungen. Das Duzen ist quasi ein niedrigschwelliges Angebot zur Kontaktaufnahme.

Eine Mischung aus Sie und Du , wenn also eine Personen die andere siezt, während diese die andere duzt, verdeutlicht in der Regel eine Hierarchie – beispielsweise zwischen einer Lehrkraft und ihren Schülern oder einer Abteilungsleiterin und einem Auszubildenden.

Das „Du“ im Berufsleben

Die Globalisierung und Internationalisierung der Arbeitswelt geht einher mit der zunehmenden Praxis des gegenseitigen Duzens auch an deutschsprachigen Arbeitsplätzen. Die Wurzel liegt hier in der wachsenden Verwendung der englischen Sprache: Das englische „You“ wird als deutsches „Du“ übernommen. Diese Eins-zu eins-Übersetzung ist zwar nicht ganz korrekt, da sprachgeschichtlich betrachtet das „you“ von der 3. Person Plural abgeleitet ist (siehe oben), führt aber dazu, dass sich das „Du“ im Berufsleben immer mehr ausbreitet.

In bestimmten Branchen oder Arbeitszusammenhängen ist das gegenseitige Duzen schon länger üblich – z.B. in Kreativ- oder Sozialberufen, in Startups oder in eng kooperierenden Teams. In jüngerer Zeit fällt aber auf, dass auch große Unternehmen dazu übergehen, das Du als allgemeingültige Ansprache auf allen Hierarchieebenen einzuführen. Laut Statistik wird bereits in einem knappen Viertel aller Unternehmen grundsätzlich geduzt, unabhängig von Alter und Position. Dennoch gibt es auch noch Hierarchieebenen, die hiervon ausgenommen sind, wie z.B. die Vorstände.

Zunehmend wird auch in Stellenannoncen die förmliche Anrede „Sie“ durch das lockerere „Du“ ausgetauscht. Die Absicht dabei ist es nicht unbedingt, jüngere Menschen anzusprechen, sondern eher die, eine vertrauensvolle Unternehmenskultur und ein Wir-Gefühl oder einen lässigen Umgang mit Autoritäten zu signalisieren. Bei potentiellen BewerberInnen führt das Du in Stellenanzeigen allerdings nicht selten zu Verunsicherungen – im Vorfeld z.B. ob sie für eine Bewerbungen zu alt sind oder – wenn sie sich denn bewerben – welche Anrede sie in ihrem Bewerbungsschreiben wählen sollen. Hier kann kein eindeutiger Rat gegeben werden, da dies sehr vom jeweiligen Kontext abhängt (Branche, Unternehmensgröße etc.). Im Zweifelsfall sollte man sich nicht scheuen, bei der in der Ausschreibung angegebenen zuständigen Kontaktperson nachzufragen.

Stolperstellen und Fallstricke

Dem Trend zum Duzen zum Trotz behält das Siezen am Arbeitsplatz durchaus seine Funktion – einerseits als Zeichen von Wertschätzung und Respekt, andererseits auch Ausdruck von Distanzwahrung und Förmlichkeit. In der Regel sorgt das Siezen für eine sachliche und höfliche Atmosphäre, die weniger anfällig ist für z.B. persönliche Befindlichkeiten oder distanzloses Verhalten. Auf der anderen Seite wird es von einzelnen Menschen als altmodisch, steif oder ablehnend wahrgenommen. Diese unterschiedlichen Wirkungen sollten bedacht werden, wenn z.B. im Umgang mit Arbeitskolleginnen oder auch mit Kunden eine Entscheidung zwischen Du oder Sie getroffen wird.

Unabhängig davon, ob am eigenen Arbeitsplatz geduzt oder gesiezt wird, ist es hilfreich, etwas über unausgesprochene Regeln und verborgenen Wirkungen der jeweilige Anrede zu wissen: So sollte das Angebot, vom Sie zum Du zu wechseln, immer von der „ranghöheren“ Person kommen. Dabei spielen nicht nur die berufliche Position, sondern auch z.B. das Alter oder die Firmenzugehörigkeit eine Rolle: Eine Abteilungsleiterin bietet das Du der Assistentin an, der langjährige Angestellte der gleichgestellten neuen Kollegin oder der erfahrene Mitarbeiter der Azubi.

Wichtig ist auch, sich der Tragweite eines Duz-Angebotes bewusst zu sein: eine Verbrüderung bzw. Verschwesterung durch ein Du gilt quasi lebenslänglich. Eine Rücknahme würde einer Herabsetzung oder zumindest einem Affront gleichkommen. Jeder und jede muss deshalb rechtzeitig und grundsätzlich reflektieren, inwieweit diese vertrauliche Anrede mit der jeweiligen Arbeitsbeziehung kompatibel ist. Durch ein Duz-Angebot wird eine andere Kommunikationsebene anvisiert. Schnell verleitet diese zu vertraulichen Gesprächen und damit auch zur Überschreitung der Grenze zum Privaten. Auch kann die verringerte Distanz es erschweren, Kritik zu äußern oder anzunehmen. Andererseits kann Duzen auch zum bewussten Angriff werden, z.B. um jemandes Autorität in Frage zu stellen.

Umgekehrt ist auch die Ablehnung eines angebotenen „Du“ heikel. Sie verlangt diplomatisches Geschick und sollte keinesfalls  leichtfertig gehandhabt werden. Sollte sich ein Duz-Angebot außerhalb des üblichen Arbeitszusammenhangs aus einem geselligem Beisammensein heraus ergeben haben (z.B. auf einer Betriebsfeier), besteht dieses den Wechsel in die tägliche Arbeitsroutine oft nicht. Hier gilt es abzuwarten, ob die vorher initiativ gewordene Person das Duzen auch am nächsten Arbeitstag beibehält oder ob sie beim bisherigen Sie bleibt. Insbesondere, wenn das Angebot von einer vorgesetzten Person kam, gilt es Zurückhaltung zu üben bis die Sachlage entsprechend eingeschätzt werden kann.

Oft ist zu beobachten, dass sich Kolleginnen untereinander duzen, der Chef oder die Chefin jedoch gesiezt werden. Das ist der Hierarchie geschuldet. Wenn in einer solchen Situation die vorgesetzte Person die Mehrheit der Mitarbeitenden siezt, einzelne aber duzt, kann das als Bevorzugung interpretiert werden. Das hat dann eventuell zur Folge, dass Kollegen zu einer geduzten Kollegin  als vermeintliche „Kronprinzessin“ auf kritische Distanz gehen – obwohl das Du möglicherweise lediglich ein Relikt aus einer gemeinsamen Studienzeit ist und sonst keinerlei Bedeutung hat. Hier wäre es anzuraten, die Gründe für das wechselseitige Du transparent zu machen, um Spekulationen zu vermeiden.

So oder so: Es macht einen Unterschied, ob wir uns am Arbeitsplatz duzen oder siezen. Wenn Sie unsicher sind, wie sich sich bezüglich der Anredeformen in bestimmten Situationen verhalten sollen, kann Ihnen möglicherweise ein Kommunikationscoach hilfreiche Hinweise geben. Wenn Sie Interesse an meiner Expertise im Bereich der professionellen Kommunikation haben, rufen Sie mich an oder kontaktieren Sie mich über das Kontaktformular.

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